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BLINDE FLECKEN

Am 27. Januar 1945 befreiten Truppen der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Dieser Ort steht wie kein anderer für das nicht vorstellbare Grauen des industriellen Massenmordes an sechs Millionen Juden durch den Nationalsozialismus. Die Zeitzeugen und Überlebenden der Shoa verstummen allmählich. Ihr Erbe aber muss fortwährende Verpflichtung bleiben – nicht nur durch steinerne Tafeln und bei institutionalisierten Gedenkfeiern.

Einsatz für demokratische Werte

Im Sommersemester 2020 forschten an der Hochschule Mainz 27 studentische Arbeiten unter szenografisch-performativen und architektonisch-räumlichen Aspekten an Tatorten des Nationalsozialismus in Mainz. Die jüngsten politischen Ereignisse haben uns allen bewusstgemacht, wie wichtig der alltägliche Einsatz für unsere demokratischen Werte und Errungenschaften ist. Die beteiligten Studierenden gehören alle einer Generation an, die Erinnerungen an den Nationalsozialismus bei ihren noch lebenden Verwandten erforschen muss und damit selektive Wahrnehmungen aktiv aufbrechen kann.

Die Konnotation von prominenten Mainzer Gebäuden und Plätzen als Sitz von NS-Institutionen, als Gefängnisse oder Deportationsorte, wie z.B. dem Osteiner Hof am Schillerplatz, dem Dalberger Hof in der Klarastraße oder dem Goetheplatz in der Neustadt als Tatorte offen begangener nationalsozialistischer Verbrechen, ist meistens vor Ort nicht ablesbar, erst recht nicht emotional erfahrbar. Die schon einmal in unserer Gesellschaft zynisch kalkulierte Zerstörung der demokratischen Strukturen und die weitestgehende Durchdringung und Akzeptanz des Faschismus im Alltag gerät so zum (räumlich wie zeitlich) abgeschlossenen und wegrenovierten historischen Ereignis. Der Brückenschlag mit Hilfe der Tatorte in der Mitte unseres Alltags aus der Geschichte der in diesem Land begangenen Verbrechen im 20. Jahrhundert zu den weltweit sichtbaren aktuellen rechtspopulistischen und faschistischen, Demokratie und Freiheit bedrohenden Tendenzen in unserer Gesellschaft wird so aus Gedankenlosigkeit oder zum Teil aktiv verhindert.

Die Auswirkungen dieser „Blinden Flecken“ auf unsere Gegenwart sind bereits seit einiger Zeit in unserer Gesellschaft spürbar, auch durch die immer weiter verbreitete rechtspopulistische, geschichtsrevisionistische und marginalisierende Haltung gegenüber der Barbarei des Nationalsozialismus.

Unterstützt wurden die Projekte durch die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz LpB, das Haus des Erinnerns in Mainz und weitere Mainzer Institutionen und Bürgerinnen und Bürger.

Das Potenzial kollektiver Prozesse

Aufgrund der Covid19-Pandemie musste das Projekt BLINDE FLECKEN kurzfristig komplett digital durchgeführt werden, die reguläre Präsenzbetreuung am Hochschulstandort Holzstraße wurde durch ausgedehnte wöchentliche Video-Meetings ersetzt. Eine weitere große Herausforderung für alle Beteiligten waren die über Wochen hinweg geschlossenen Archive und Bibliotheken. Das in der Recherchephase dringend benötigte historische und wissenschaftliche Material liegt zum großen Teil noch nicht digital vor und war nur unter sehr erschwerten Bedingungen zugänglich. Nur eine wiederholte Unterstützung von einzelnen engagierten Personen, Spezialisten und Institutionen machte die Durchführung des Projekts überhaupt möglich. Die so vereinzelt zusammengetragenen Ergebnisse wurden von den Studierenden online mit der gesamten Entwurfsgruppe geteilt. Durch die Corona-Beschränkungen und den damit verbundenen Zwang zur digitalen Durchführung des Semesters war eine direkte soziale studentische Interaktion als zentraler und sehr wichtiger Bestandteil des Studiums nur eingeschränkt möglich. Trotzdem ist der Verlauf des Projekts BLINDE FLECKEN ein gutes Beispiel für die positive Kapazität kollektiver Prozesse gerade im entwerferischen Bereich.

Ausgezeichnete Arbeiten

Im LUX, dem zentralen Ausstellungspavillon der Hochschule Mainz in der Ludwigsstraße, fand – in direkter Nachbarschaft zu gleich mehreren Tatorten – am 7. Juli 2020 eine Jurierung der studentischen Projekte mit allen Beteiligten statt.

Mitglieder der Jury waren Prof. Dr. Regina Stephan (Vizepräsidentin der Hochschule Mainz), Angelika Arenz-Morch (Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, Gedenkstätte KZ Osthofen), Dr. Cornelia Dold) Haus des Erinnerns Mainz) sowie die Initiatoren und Betreuer des Projekts BLINDE FLECKEN Prof. Antje Krauter und Prof. Wolf Gutjahr (beide Hochschule Mainz)

Folgende Arbeiten wurden von der Jury ausgezeichnet:

  • 1. Preis architektonischer Raum: Zeliha Yüksel: VERSUS / Mainzer Außenstelle der Gestapo Darmstadt / Kaiserstraße 31
  • 2. Preis architektonischer Raum: Nina Ludwig RAMPE / SPUREN IN DIE ZUKUNFT / Güterbahnhof Mombacher Straße/Goethestraße
  • 1. Preis szenografisch-performativer Raum: Ina Bernsdorf LICHTSPIELHÄUSER / Capitol-Kino Neubrunnenstraße 9
  • 2. Preis szenografisch-performativer Raum: Lukas Kurze SCHWELLCLUB / Osteiner Hof / NSDAP-Kreisleitung, SA, SS / Schillerplatz 1
  • Sonderpreis der Hochschule Mainz: Victoria Klettenhofer IM WEG / „Bücherverbrennung” / Weg des „Fackelzuges” von der Holzstraße zum Jockel-Fuchs-Platz Capitol Kino / Neubrunnenstraße 9
  • Erwähnung durch die Jury: Anastasiya Okshina ENGE / Deportationshaus Adam-Karrillon-Straße 13

 

Die ursprünglich für November 2020 geplante Ausstellungseröffnung wird verschoben.

Die besten Arbeiten werden nun vom 2. bis 27. März 2021 im LUX Pavillon öffentlich präsentiert. Die Vernissage ist für den 19. März 2021 geplant. Die genaue Uhrzeit wird noch bekanntgegeben. Zur Ausstellung wird ein Katalog erscheinen.

 

Autoren:

Prof. Wolf Gutjahr / Szenografie BA / Szenischer Raum MA / Gestaltungsgrundlagen, Studiengang Innenarchitektur

Prof. Antje Krauter / Baukonstruktion und Entwerfen, Studiengang Innenarchitektur