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In­ter­view mit Dr. Hannah Fitsch

Hannah Fitsch, können Sie mir erzählen, was Sie im Rahmen der Gastprofessur planen? Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie setzen?

Ich widme mich im Rahmen der Gastprofessur dem Thema Sexualität im digitalen (Sozialisations-) Raum und habe hier drei inhaltliche Schwerpunkte gelegt: Erstens auf die Fragen der Sexualität sowie zweitens die technischen Bedingungen der Digitalisierung und drittens den digitalen Raum als Sozialisationsraum zu verstehen, der den Menschen verschiedene Identifikationsangebote zur Verfügung stellt. Im Rahmen dieser Schwerpunkte wollen wir darüber nachdenken und diskutieren, was wir eigentlich meinen, wenn wir von Sexualität im digitalen Raum sprechen und was Sexualität heute im digitalen Raum ist bzw. sein kann? Wie findet Sexualität im Digitalen statt, wessen Sexualität findet dort statt und inwiefern kann Sexualität im digitalen Raum lustvoll sein ohne die direkte Berührung physischer Körper? Wie tragen die technischen Reproduktionsbedingungen der sexuellen Kommunikation zu deren Formation und ihrer Konstitution bei? Da der digitale Raum schon längst durch ökonomische Prinzipien von Privatunternehmen strukturiert ist, stellen wir uns die Frage, inwiefern Sex damit zu einer ständig verfügbaren Ware wird und welche Möglichkeiten es gibt, digitale Räume so zu gestalten, dass sie kein rein ökonomisches Interesse verfolgen. Da das Seminar für Studierende der Hochschule Mainz mit den Fachbereichen Technik, Gestaltung und Wirtschaft konzipiert wurde, liegt der Fokus auf den technischen und ästhetisch-gestalterischen Bedingungen digital-sozialer Medien und ihren ökonomischen Ermöglichungsbedingungen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Gastprofessur liegt auf einer interdisziplinären und intersektionalen Praxis: In Kooperation mit Prof. Dr. Julia König aus den Erziehungswissenschaften haben wir nicht nur ein Seminar für Studierende aus verschiedenen Fachdisziplinen aus der Hochschule und der Universität entworfen, sondern konnten mit der Organisation eines Festivals Theoretiker*innen, Anwender*innen, Gestalter*innen sowie Menschen aus der Beratung und Vermittlung, aber auch queerfeministische Aktivist*innen in die Überlegungen über Sexualität im digitalen Raum miteinbeziehen.

Wen wollen Sie mit dem Festival DE/LUXE erreichen? Können Sie uns etwas über das Programm sagen?

Ganz wichtig war uns, dass das Festival offen ist für alle. Ansprechen will das Festival vor allem diejenigen, die sich aus einer kritischen, diversitätssensiblen und queer-feministischen Perspektive mit dem Thema Sexualität beschäftigen oder beschäftigen wollen. Gleichzeitig will das Festival explizit Studierende aus verschiedenen Disziplinen und verschiedenen Anwendungsfeldern erreichen, wie Gestalter:innen, Erzieher:innen, Künstler:innen, Programmier:innen, aber auch Berater:innen und sie dazu einladen, gemeinsam theoretische Überlegungen anzustellen und praktische Herangehensweisen zu entwickeln. Es wird neben einer einführenden Vorlesung am ersten Abend verschiedene Podiumsdiskussionen, Film- und Kurzfilmabende, einen feministisch programmieren-Workshop, einen Sex Toy Hackathon auch die Möglichkeit geben, an einer Ausstellungskonzeption aus diskriminierungskritischer Perspektive teilzunehmen.

Die heutigen Generationen sind durch die technischen und digitalen Mittel anders miteinander verbunden. Ist die (sexuelle) Selbst- und Fremdwahrnehmung durch die Technizität bestimmt bzw. in welcher Weise haben die konkreten technischen Mittel Einfluss auf die jungen Menschen und ihre Selbstentwürfe?

Das Seminar und das Festival Who decides what is seen as normal? beschäftigt sich mit der Rolle der technischen und ästhetisch-gestalterischer Bedingungen digital-sozialer Medien für jugendliche sexuelle Selbstentwürfe. Der digital-soziale Raum wird damit explizit als Sozialisationsraum verstanden, in dem sich ein nicht unbeträchtlicher Teil sexueller Identitätsentwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Adoleszenz abspielen kann.

Digitale Technologien machen eine Vervielfältigung von sexuellen Selbst- und Lebensentwürfen möglich, die in den letzten Jahren vielfach hervorgehoben wurden. Auch Teenager auf dem Dorf, die unter den ihnen entgegengebrachten geschlechtlichen und sexuellen Identitätszuweisungen leiden, können über digital-soziale Medien Gleichgesinnte finden und Teil von Communities werden, die in der Zeit vor der Einführung des Internets und digital-sozialer Medien nur Angehörigen urbaner Subkulturen offenstanden. Dabei weisen die digitalen Infrastrukturen aber auch gravierende Unterschiede zu denen lokal organisierter Communities auf, denn als sogenannte smarte, d.h. digitale Technologien, die auf künstlicher Intelligenz basieren, unterliegen sie einer formgebenden Vereindeutigungslogik. Dies erweist sich für adoleszente User:innen dieser Technologie insbesondere bezüglich sexueller Fragen und Selbstentwürfe als systematische wie praktische Herausforderung.

Warum halten Sie es daran anschließend für wichtig, sich gerade mit den sexuellen Selbstentwürfen von Jugendlichen im digitalen Raum zu beschäftigen und was hat das Ganze mit Frauen- und Geschlechterforschung zu tun?

Die Frauen- und Geschlechterforschung dient hier als Grundlage eines interdisziplinären Zugangs zum Thema Sexualität; ein Thema, das Subjektivierungsweisen entlang gängiger Identifikationsangebote verhandelt. Dabei bietet Geschlecht zwar nur eine von vielen Identifikationsformen im Rahmen sexueller Selbstentwürfe, spielt im Erfahrungshorizont junger Menschen aber nach wie vor eine sehr entscheidende Rolle, wenn es um die Aushandlung ihrer Körper- und Begehrensstrukturen geht.

Sexuelle Selbstentwürfe sind zum einen der Grundpfeiler einer adoleszenten Identifikation, zum anderen unterliegen Sexualität und sexuelle Normen gesellschaftlichen Dispositiven und im digitalen Raum auch vermehrt technischen Bedingungen. Diese technischen Bedingungen folgen wie oben erwähnt einer Vereindeutigungsstrategie, die für junge Menschen herausfordernd sein kann. Derartige Vereindeutigungsstrategien lassen sich auf zwei Ebenen als Teil des digitalen Sozialisationsraums für Jugendliche und junge Erwachsene untersuchen: Erstens liegt diese formende Logik in den technischen Bedingungen digitaler Medien selbst, weil sie eindeutig voneinander abgrenzbare Kategorien schafft. Wenn Fragen entweder mit ja oder nein, like oder dislike beantwortet werden können und durch Nullen und Einsen ausgedrückt werden, dann gibt es wenig Platz für Uneindeutigkeiten. Zweitens sind sie durch die ökonomischen Prinzipien der Privatunternehmen strukturiert, denen die Plattformen gehören. Dabei ist wiederum zu beobachten, dass diese Logiken auf der Ebene visueller Strategien stark auf vergeschlechtlichte und normierende Repräsentationslogiken zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für jugendliche sexuelle Selbstentwürfe in digital-sozialen Medien eine Konstellation, in der besonders die technischen Ermöglichungsbedingungen und die ökonomischen Strukturprinzipien in der visuellen Präsentation zwar zu verschwinden scheinen, aber unmerklich zur radikalen Orientierung an den technischen Logiken der Eindeutigkeit und dem Primat der Warenförmigkeit beitragen. Das heißt, dass Nutzer:innen die Struktur digitaler Medien nicht (immer) visuell wahrnehmen, diese in ihrer Wirkweise aber dennoch formenden Charakter haben kann.

Das Gespräch führte Mona Takow, Referentin für Gleichstellung an der Hochschule Mainz.