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Tandem 1

Integratives Modell für das Erkennen und Erproben relevanter Technologien

Prof. Dr. Oliver Mauroner + Univ.-Prof. Dr. Andranik Tumasjan

Sebastian Woelke + Christian Zern 

Das Aufkommen neuer Technologien stellt die Wertschöpfungsprozesse von Unternehmen in immer kürzeren zeitlichen Zyklen vor neue Herausforderungen (Teece, 2012). Heute verändern neue, meist digitale Technologien die Produkte, Services, Prozesse und Geschäftsmodelle in Unternehmen in zum Teil disruptiver Weise, so dass auch jahrzehntelang vorherrschende Logiken ganzer Branchen in Frage gestellt werden (z.B. Automobilbranche; Teece & Linden, 2017). Unternehmen müssen sich häufiger und intensiver mit der Relevanz neuer Technologien für ihr Geschäftsmodell und ihre Branche beschäftigen, um zu entscheiden, ob Ressourcen in die Aneignung einer bestimmten neuen Technologie (z.B. Blockchain-Technologie) für die Nutzung neuer unternehmerischer Gelegenheiten oder die Etablierung neuer Geschäftsmodelle/-prozesse investiert werden sollen (Dutra, Tumasjan & Welpe, 2018; Friedlmaier, Tumasjan & Welpe, 2018). Zwei grundlegende unternehmerische Fähigkeiten bzw. Prozesse können als zentral für diese Entscheidung angesehen werden:

·         Das Erkennen relevanter neuer Technologien und Trends

·         Das Erproben der als relevant identifizierten Technologien und Trends

Es erscheint offensichtlich, dass starke Interdependenzen zwischen beiden Bereichen bestehen. Mit Blick auf die Vielzahl verfügbarer digitaler Technologien (z.B. künstliche Intelligenz, Machine Learning, Big Data, Blockchain/DLT-Technologie) müssen Organisationen entscheiden, worin für sie relevante Wettbewerbsvorteile liegen können und wie diese in bestehende Prozesse integriert werden können, um die Potenziale umfassend zu nutzen. Hierzu kann auch die Forschung beitragen, welche bzgl. der Erkennung relevanter neuer Trends und Technologien derzeit jedoch als hochgradig fragmentiert und über unterschiedliche Teildisziplinen der Managementforschung verteilt beschrieben werden muss. Es existieren nebeneinander heterogene theoretische Konzeptionen und empirische Umsetzungen – vornehmlich in den Feldern Strategisches Management, Entrepreneurship und Innovationsmanagement – welche unter Konzepten wie beispielsweise „environmental scanning“ (Pryor, Holmes Jr., Webb & Liguori, 2017), „proactive strategic scanning“ (Parker & Collins, 2010), „entrepreneurial alertness“ (Tang, Kacmar & Busenitz, 2012), „sensing“ (Teece, 2007) oder „corporate foresight“ (Rohrbeck & Kum, 2018) unterschiedliche Aspekte dieser unternehmerischen Fähigkeiten untersuchen. Diese Heterogenität der Konzeptionen und Konstrukte zur Erkennung relevanter neuer Technologien und Trends hemmt den theoretischen und empirischen Fortschritt hinsichtlich eines besseren Verständnisses der Antezedenzien, Moderatoren und Konsequenzen. Daher bestehen basierend auf unserer Literaturanalyse folgende wesentlichen Forschungslücken und entsprechende -bedarfe:

·         Es existiert keine systematische Zusammenschau der bisherigen theoretischen und empirischen Erkenntnisse. Dies indiziert die Notwendigkeit für die Entwicklung eines integrativen theoretischen Modells unter Berücksichtigung einer Mehrebenen- und longitudinalen Betrachtung ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen (systematic review, construct clean-up, and integrative theoretical model).

·         Während sich bisherige Literatur generell mit dem Erkennen von relevanten Technologien beschäftigt hat, gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie der Kontext der digitalen Transformation und die damit einhergehenden Veränderungen diesen Themenkomplex beeinflussen. Rezente Forschung belegt jedoch, dass digitale Technologien die Natur von unternehmerischen Gelegenheiten und das Innovationsmanagement grundlegend verändern und daher bisherige theoretische Konzepte und Annahmen teilweise fundamental hinterfragt werden müssen (Nambisan, 2017; Nambisan Lyytinen, Majchrzak & Song, 2017). Dies indiziert die Notwendigkeit der Konzeptualisierung, Theoriebildung und empirischen Überprüfung eines Modells zur Erkennung relevanter Trends im Kontext neuer digitaler Technologien und Geschäftsmodelle. Beispielsweise erfordert die wachsende Zahl von Technologien, die verkürzten Zyklen und die ansteigende Informations- und Medienkanaldichte eine stärkere Fähigkeit, relevante von nicht-relevanten Technologien und Trends zu unterscheiden – d.h., nicht nur neue Trends zu finden und zu erkennen, sondern diese systematisch hinsichtlich ihrer Relevanz zu bewerten und zu selektieren („signal vs. noise“). Bisher existieren aber nur wenige Erkenntnisse im Kontext dieser neuen Rahmenbedingungen.

Die entsprechende erste Forschungsfrage lautet daher:

Wie kann das Erkennen relevanter neuer Technologien und Trends in Unternehmen organisiert und institutionalisiert werden?

Die Forschung zur daran anschließenden Aufgabe, der Erprobung der als relevant eingestuften Technologien und Trends, ist stark vom wissenschaftlichen Diskurs um Dynamic Capabilities geprägt (u.a. Teece, Pisano & Shuen, 1997; Zollo & Winter, 2002). Dies meint die Fähigkeit von Organisationen zur dynamischen Neukonfiguration der strategischen und operativen Ressourcen, u.a. durch Integration und Neukombination interner und externer Ressourcen (Teece, Peteral & Leih, 2016). Unternehmen benötigen ausgeprägte Dynamic Capabilities um neue Geschäftsmodelle schnell schaffen und implementieren zu können, um in der emergenten digitalen Ökonomie zu bestehen (Achtenhagen, Melin & Naldi, 2013; Karimi & Walter, 2015; Velu, 2017). Im Fokus steht derzeit meist die Business Modell Innovation, d.h. Fragestellungen, die sich mit den Auswirkungen neuer Technologien auf bestehende (und neue) Geschäftsmodelle von existierenden Unternehmen und Start-ups befassen (z.B. Hölzle, Schoder, Spiri & Götz, 2017; Mauroner, 2016; Teece, 2018; Teece & Linden, 2017). Verschiedene Studien befassen sich z.B. mit der Kombination von Geschäftsmodellinnovation und Big Data (De Mauro, Greco & Grimaldi, 2015) oder allgemeiner mit prozessbasierten Geschäftsmodellinnovationen im Zusammenhang mit Technologien (Cavalcante, Kesting & Ulhøi, 2011). Unternehmen müssen sich selbst in die Lage versetzen, Zugänge zu den erforderlichen Ressourcen auf- und auszubauen, um Technologien zu testen und daraus letztlich auch Innovationen entwickeln zu können (Tang, Tang & Katz, 2014). Es besteht erheblicher Forschungsbedarf bei der Frage, wie Organisationen neue Technologien, im Sinne von dynamischen Fähigkeiten, ausprobieren und mit der eigenen Ressourcenbasis kompatibel machen (d.h. eingliedern). Defizite im Kontext der digitalen Transformation bestehen z.B. beim Verständnis von Lern- und Erprobungsprozessen, welche immer schneller vonstattengehen müssen. Im Hinblick auf die weitere Aufschlüsselung von dynamischen Fähigkeiten (Teece, 2007) in “sensing” (opportunities and threats), “seizing” und “transforming” (the organization’s business model), steht hierbei das „seizing“ im Fokus der Forschung. Dies ist die Fähigkeit, Möglichkeiten zu ergreifen und tatsächlich in die Organisation zu integrieren – im Sinne einer Passfähigkeit zwischen Ausprobieren und der eigenen Ressourcenbasis. Ein erster Ansatz in Form einer explorativen Studie liegt von Warner und Wäger (2018) vor. Das Ausprobieren und dessen Reflexion – im Sinne des douple-loop learning (vgl. Argyris & Schön, 1978) – muss ebenfalls in kürzeren Zyklen erfolgen. Hierbei kann eine Verbindung zu potenziellen organisationsexternen Quellen von Ressourcen und Technologien gezogen werden, die in der jüngeren Vergangenheit immer vielfältiger geworden sind: Kooperationen, Netzwerke, Akquisitionen, Open Innovation, Co-Creation, Einbindung von User-Communities, Zugriff auf digitale Ressourcen über Entwicklungsumgebungen (Möslein, 2009; Drescher, Mauroner & Pabst, 2017).

Die zweite Forschungsfrage lautet daher:

Wie kann das Lernen und Erproben neuer Technologien und Trends im Rahmen von offenen Innovations- und Wertschöpfungsprozessen erfolgen?