This content is only partially available in English.

Tandem 2

Einsatzbereiche und Vorgehen beim Einsatz von KI für betriebliche Entscheidungen

Prof. Dr. Gunther Piller + Univ.-Prof. Dr. Franz Rothlauf

Matthias Brunnbauer + Marc de Zoeten

Im Jahr 2006 schrieb Netflix einen offenen Wettbewerb aus, durch welchen das hauseigene Empfehlungssystem für Filme verbessert werden sollte. Das externe Team, dem es gelänge, die Genauigkeit der Empfehlungen um 10% im Vergleich zum damaligen State-of-the-art zu verbessern, würde mit einem Preisgeld von 1 Million Dollar belohnt werden. Mit mehr als 40.000 teilnehmenden Teams war die Resonanz sehr groß und im Jahr 2009 wurde ein entsprechendes Verfahren publiziert und das entsprechende Preisgeld ausbezahlt (Netflix, 2009). Rückblickend war der Netflix Wettbewerb einer der wichtigsten Wegmarken für den Einsatz von Verfahren aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz (Chen, Chiang & Storey, 2012), welche als Input Beobachtungsdaten von Unternehmen (wie z.B. Videoabrufe und Nutzungsdaten von Nutzern, Standortdaten von mobilen Endgeräten, Zustände von Maschinen) verwenden und diese für die Verbesserung von unternehmerischen Entscheidungen nutzen (z.B. für Empfehlungssysteme für Videoanbieter oder E-Commerce, Optimierung von Produktangeboten oder unternehmensinternen Prozessen). Die Verfügbarkeit von entsprechenden Daten ist mit der zunehmenden Verbreitung von mobilen Endgeräten sowie der Vernetzung von Nutzern sowie physischen Komponenten dramatisch angestiegen. Der Einsatz der entsprechenden Verfahren für Entscheidungsprobleme in Unternehmen ist die Grundlage für die gegenwärtigen Trends, welche unter den Schlagworten Big Data, Advanced Analytics, Deep Learning, Industrie 4.0 etc. firmieren (z.B. McKinsey Global Institute, 2016; Gartner, 2017).

Ein relevanter Bereich der künstlichen Intelligenz (der ausdrücklich auch Verfahren des maschinellen Lernens miteinschließt) beschäftigt sich mit Problemen der Erkennung von Mustern und Strukturen in Daten und darauf basierenden (betrieblichen) Entscheidungen. In den letzten Jahren wurden hierzu sowohl klassische Lern- und Optimierungsalgorithmen weiterentwickelt als auch neue Verfahren erarbeitet (siehe z.B. Jordan & Mitchel, 2015). Beispiele sind Lifelong-Learning-Algorithmen oder Deep Learning-Konzepte (z.B. LeCun, Bengio & Hinton, 2015; Liu, 2017; Liu et al., 2017). Konsequenterweise nimmt die Vielzahl der möglichen und auch nutzbaren Methodenansätze zum Erkennen von Strukturen in Daten deutlich zu (Schmidhuber, 2015). Auch im Bereich von Optimierungsverfahren, welche für betriebliche Entscheidungsprobleme gute Lösungen finden, ist eine deutliche Zunahme der Methodenvielfalt zu beobachten (Bottou, Curtis & Nocedal, 2018; Gendreau & Potvin, 2010).

Obwohl in den letzten Jahren in Unternehmen und öffentlichen Institutionen die Menge an vorhandenen Beobachtungsdaten stark zugenommen hat und viele Organisationen diese Daten gerne für verbesserte Entscheidungen sowohl auf der operativen, taktischen oder strategischen Ebene verwenden möchten, sind sie oftmals mit dem Einsatz von derartigen Verfahren überfordert (z.B. Günther, Mehrizi, Huysman & Feldberg, 2017). Erstens stellt sich für viele Organisationen das Problem, dass unklar ist, in welchen Bereichen und für welche Entscheidungsprobleme der Einsatz von Verfahren aus dem Bereich der KI sowohl möglich als auch sinnvoll ist (Salminen, Milenković & Jansen, 2017; Carlsson, 2018). Unternehmen und öffentliche Institutionen haben oft keine vernünftige Einschätzung darüber, welche Entscheidungsprobleme verbessert werden könnten und welche Art als auch Qualität von Daten hierfür notwendig wären. Zweitens ist, nachdem eine Organisation ein relevantes Entscheidungsproblem identifiziert hat, oft die Wahl von geeigneten Verfahren schwierig. Anwender werden hier in der wissenschaftlichen Literatur oft mit einer sehr großen Vielfalt an unterschiedlichen Ansätzen konfrontiert und müssen zwischen unterschiedlichen Verfahren eine Auswahl treffen, ohne diese jeweils im Detail verstanden zu haben (Kotthoff, 2016; Rothlauf, 2011).

Die Hauptursache für diese zwei Herausforderungen ist darin zu finden, dass sich nur ein sehr geringer Teil der Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz mit der Unternehmenssicht beschäftigt. Der größte Teil der Forschung entwickelt Methoden zur Lösung von bestehenden (Standard)-Problemen weiter (siehe z.B. LeCun, Bengio & Hinton, 2015; Najafabadi et al., 2015; Russell & Norvig, 2016) und überlässt die Anwendung der entsprechenden Verfahren Organisationen mit großem Methoden- und Implementierungswissen. Typische Unternehmen, die derartiges Wissen mitbringen, finden sich im Bereich von technikaffinen IT-Unternehmen. Im Gegensatz dazu haben viele Unternehmen und öffentliche Institutionen aus dem Nicht-IT-Bereich sowie kleine und mittlere Unternehmen in der Regel ein nur geringes Wissen über die Anwendung der entsprechenden Verfahren (z.B. Derwisch & Iffert, 2017). Daraus ergeben sich folgende Forschungsfrage:

Welche Entscheidungsprobleme in Unternehmen und öffentlichen Institutionen können sinnvoll durch den Einsatz von KI unterstützt werden?

Als zentrales Ergebnis ist ein Katalog für Standardentscheidungsprobleme in Unternehmen und öffentlichen Institutionen, für welche KI-Verfahren Sinn machen und Mehrwert schaffen, geplant. Eine zugehörige Taxonomie soll beschreiben, welche der möglichen Ansätze für welche Fragestellung in spezifischen unternehmerischen oder institutionellen Kontexten sinnvoll ist und welche Anforderungen für ihren Einsatz bestehen. Da die Leistungsfähigkeit der entsprechenden Verfahren durch technischen Fortschritt einem stetigen Wandel unterworfen ist, ändert sich auch ihre Eignung für bestimmte Entscheidungsprobleme. Die hier mögliche Dynamik soll durch die Beschreibung der Leistungsgrenzen aktueller Methoden sowie deren technologischer Bewertung dargestellt werden. Passende Einsatzbereiche für Verfahren der künstlichen Intelligenz zu kennen, ist eine notwendige Voraussetzung für ihren erfolgreichen Einsatz. Die Potenziale komplexer analytischer Methoden und Werkzeuge in Unternehmen und öffentlichen Institutionen auszuschöpfen, erfordert jedoch mehr. Aus den Ergebnissen verhaltensorientierter Forschungsarbeiten zu digitalen Transformationsanstrengungen weiß man, dass Organisationen mit unterschiedlichen Aktivitäten auf IT-getriebene Innovationen reagieren. Aktuelle Arbeiten beinhalten u.a. (siehe z.B. Vial, 2019): Analysen disruptiver Veränderungen in den Ökosystemen von Organisationen; die Entwicklung strategischer Transformationsstrategien; Untersuchungen, wie datengetriebene Dienste zur Änderung von Geschäftsmodellen, Wertschöpfungsprozessen, Produkten und Services genutzt werden können; Aufbau von Daten- und Technologieplattformen; strukturelle Veränderungsprozesse zur Anpassung organisatorischer Gegebenheiten an neue Möglichkeiten. Vorgehensweisen bei digitalen Transformationsvorhaben in Unternehmen wurden bisher in mehreren Arbeiten, zumeist Fallstudien, untersucht (Vial, 2019). Eine systematische Analyse der Erfolgsfaktoren für die Einführung neuer Verfahren aus dem Bereich der KI sowie eine konstruktivistische Gestaltung von Methoden und Referenzprozessen, wie entsprechende Vorhaben erfolgreich durchgeführt werden können, fehlen jedoch bislang. Beides soll daher im Rahmen des Forschungskollegs erforscht werden. Die entsprechende Forschungsfrage lautet:

Wie können Unternehmen und öffentliche Institutionen Methoden und Werkzeuge aus dem Bereich der KI erfolgreich einführen und nutzen? 

Als zentrales Ergebnis sind Referenzprozesse zur Einführung passgenauer KI-Verfahren geplant. Sie beinhalten u.a.: technische, datenspezifische und organisatorische Voraussetzungen; notwendige Maßnahmen zum Aufbau entsprechender Fähigkeiten; Methodenbausteine zur schrittweisen Erprobung und Einbindung von KI-Verfahren in Organisationen, sowie für hierdurch notwendig werdende Transformationsprozesse für Geschäftsmodelle & -prozesse, Produkte oder Services.